Jedes Wort zu Kentucky Route Zero fühlt sich an wie eins zuviel. Deshalb schon einmal vorab: Wer mir blind vertraut kauft sich das Spiel einfach und verzichtet auf jede vorangeschobene Information zum eigenen besten. Doch so einfach will ich es mir auch nicht machen.
Das episodische Adventure vom zwei-Mann-Team Cardboard Computer erschafft eine Welt, die irgendwo zwischen Road Trip Romantik, Twin Peaks und Akte X wabert.
Würde David Lynch Videospiele machen, dann hätte er wahrscheinlich so etwas mysteriöses und beklemmendes wie Kentucky Route Zero erschaffen.
Ich starte als Lieferwagenfahrer Conway an der von einem riesigen Pferdekopf gesäumten Tankstelle, Equus Oils auf der Suche nach der titelgebenden Route Zero. Von da an beginnt der Fiebertraum durch die Weiten von Kentucky und meine Synopsis der Handlung endet.
Spieltechnisch fühlt sich Kentucky Route Zero an wie viele neuere Adventures. Es stehen weniger Rätsel im Vordergrund, als die Erforschung der verzweigten Straßen von Kentucky und die Interaktion mit den vielen mysteriösen und teils fast lächerlich überzeichneten Gestalten, die ihr auf eurer Reise trefft.
Die minimalistische Grafik und der Soundtrack bauen perfekt die unstabile, zwischen Wahn und Realität schwankende Atmosphäre auf, sind aber nicht der Antriebsmotor des Titels. Dialoge sind generell nicht vertont und einige Passagen laufen im klassischen Textadventurestil ab. Die Fahrten durch das ländliche Kentucky finden nur auf einer stilisierten Karte statt und bieten ein bisschen Raum zur Erkundung. Für mich waren die Fahrten fast schon Momente der Entspannung zwischen den dichten Handlungspassagen.
So sehr sich Kentucky Route Zero wie ein begehbares, surreales Gemälde anfühlt, so spärlich geht es mit starken grafischen Elementen um. Genau dies tut der Immersion aber keinen Abbruch, sondern ließ mir jede Szene mehr im Gedächtnis.
Höchstwahrscheinlich ist der Minimalismus eher der Knappheit des Budgets geschuldet, aber die dadurch entstandenen Design Entscheidungen rücken die dichte Handlung und die bizarren Charaktere noch mehr in den Vordergrund.
Damit gelingt diesem lynchschen Road Trip in Videospielform etwas äußergewöhnliches, ohne dabei viel Interaktion zu bieten. Kentucky Route Zero schafft es schlicht eine Welt, in der Wahnsinn und klarer Verstand von einer papierdünnen bröckelnden Wand getrennt werden, durch ein gutes narrativ darzustellen.
Kentucky Route Zero ist mittlerweile beim dritten Akt, der schon im Mai diesen Jahres veröffentlicht wurde und mit dem Erscheinen des vierten Aktes ist zum Ende des Jahres zu rechnen.
Klassischerweise sind fünf Akte geplant und nicht nur hier holt es sich Anleihen aus den alteingesessenen Künsten. In der kostenlosen Mini Episode Limits & Demonstrations ist es möglich eine interaktive Retrospektive der (fiktiven(?)) Künstlerin Lula Chamberlain zu besuchen. Nach etwas Recherche, zu der so real erscheinenden Künstlerin, die auch im Spiel eine Rolle spielt und dem Entdecken einer angeblichen Ausstellung ihrer Werke in einer kleinen Galerie in Philadelphia verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Wirklichkeit.
Meine noch anhaltende Reise durch Kentucky hat mir gezeigt, welche Möglichkeiten Videospiele innehaben können und meine Liebe zu diesem, teilweise doch so fantastischen Medium, wieder ein kleines bisschen höher schlagen lassen.
Wer keine Adventures mag oder sonstige, vergebliche Ausreden sucht, Kentucky Route Zero nicht wenigstens einmal auszuprobieren, der möge sich selbst einen gefallen tun, sich einen verregneten Abend Zeit nehmen und sich auf eine realitätsverzerrende Reise der lynchschen Extraklasse einlassen.
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