Um ehrlich zu sein, fällt es mir schwer, die ersten Worte zum Netflix-Remake von Avatar – Der Herr der Elemente zu finden. Ein meisterhaftes Kunstwerk? Eine katastrophale Peinlichkeit? Oder ein genialer Schachzug auf der Grenze zwischen Genie und Wahnsinn?
ACHTUNG: SPOILER!
Man spürt von Anfang an eine Art Düsternis in der Serie, die man als Kind nicht so direkt wahrgenommen hat. Es ist das Gefühl, dass es hier wirklich um etwas geht. Um eine Welt, die bedroht ist und in der man spürt, dass man niemandem wirklich trauen kann. Die Erdnation ist in Gefahr, aber eigentlich betrifft es die Luftnomaden? Was bzw. wer ist der Avatar? Warum möchte die Feuernation Krieg? Fragen über Fragen, die man sich als Kind vielleicht nicht so direkt gestellt hat, zu sehr amüsierte man sich über die Eskapaden des Kohlkopfhändlers oder Sokkas Witze. Die Netflix-Adaption zeigt Stärken, die man von einer Adaption vielleicht nicht erwartet hätte. Gleichzeitig gibt es aber auch Schwächen, die nicht hätten sein müssen. Aber wie hat Katara im Intro (und Gran-Gran in der ersten Episode?!?!) einmal gesagt hat? Diese Serie hätte einem eigentlich nur der Avatar erklären können. Doch als die Fans ihn am meisten gebraucht hätten, verschwand er.
Gleich zu Beginn der ersten Episode sehen wir, wie ein vermeintlicher Eindringling geheime Dokumente aus der Hauptstadt der Feuernation in das Erdkönigreich überbringen lässt. Dabei werden den Zuschauer*innen direkt am Anfang die ersten Kampfszenen gezeigt, bei denen ich anfangs ein mulmiges Gefühl hatte. Zu sehr hatten sich die schrecklichen Szenen aus der Verfilmung von M. Night Shyamalan in mein Gehirn eingebrannt. Doch nach wenigen Minuten bemerkte ich, dass hier nicht fünf Erdbändiger in Zeitlupe einen kleinen Stein bewegten, sondern dass es sich um echte Bewegungen handelte, die der Kampfkunst der Erdbändiger und damit einer echten Kampfkunst nachempfunden waren. Und es sah verdammt gut aus! Kurze Zeit später offenbart sich uns ein mysteriöser, böser Mann, der sich als Feuerlord Sozin entpuppt und uns von seinen wahren Absichten berichtet, nämlich die Luftnation ein für alle Mal zu vernichten. Daraufhin folgt eine brutale Szene, in der der Eindringling eliminiert wird – eine glatte 10 von 10. Fantastisch. Die gesamte visuelle Darstellung und wie wir als Zuschauer*innen direkt reingeworfen werden in die Intrigen der Feuernation fand ich wirklich gut.
Die einzigartigen Charaktere und ihre Geschichte haben Avatar schon immer ausgezeichnet. Es hat uns unsere eigenen Schwächen vor Augen geführt und uns gleichzeitig ein Gefühl von Liebe und Geborgenheit vermittelt. Ist es Netflix gelungen, die Erwartungen zu erfüllen und all diese Emotionen genau so wiederzugeben? Nee. Ist es ein Desaster wie M. Night Shyamalans Film? Nein, überhaupt nicht. Die Serie ist sehr gut – auf ihre eigene Art und Weise. Die Synchronsprecher*innen, die Produzent*innen und alle anderen sind älter geworden – genau wie wir, die mit der Serie aufgewachsen sind. Besonders am Anfang der Serie, als es um den Genozid an den Luftnomaden ging, merkt man das. Ich wollte schon immer mehr über den Völkermord an den Luftnomaden erfahren, aber die Szene war wirklich brutal – und verdammt gut. Die ganze Inszenierung rund um den Angriff der Feuernation ist ein unglaubliches Meisterwerk, von dem man eigentlich gar nicht wusste, dass man es braucht. Die Musik, die Synchronsprecher*innen, die Interpretation der Figuren, alles ist unglaublich gut gemacht.
Kritikpunkte gibt es wenige, aber es gibt sie. Zu diesen Kritikpunkten gehören leider auch die gehetzten Handlungsstränge wie in den beiden Omashu-Episoden, die makellos wirkende Kleidung, die einem ein wenig das Gefühl für die Szene nimmt und – für mich der größte Kritikpunkt – der Humor, der Sokka genommen wird. Er sei in der Zeichentrickserie zu frauenfeindlich und sexistisch, hieß es von Seiten Netflix. Ein Sokka, der in der ganzen Serie eine so faszinierende Entwicklung durchgemacht hat, muss sich grundlegend ändern, um mögliche Kritiker zu besänftigen. War das nicht das Schöne an Sokka? Dass er jedes Mal, wenn er sich vermeintlich menschenverachtend verhielt, direkt eine Lektion erteilt bekam und dadurch erst richtig lernen konnte. Und dass er, der Junge, der als Kind das Dorf übernehmen musste, der seine Mutter im Kindesalter verlor, erst dadurch richtig zum Mann und damit auch zum Anführer heranwachsen konnte. Sokka ist für mich mit Abstand der schwächste Charakter der Serie, einfach weil man überhaupt keine Beziehung zu ihm aufbauen kann, was ich schade fand. Das war für mich sogar so ärgerlich, dass es der Serie einen ganzen Punkt Abzug in meiner Wertung eingebracht hat.
Trotzdem kann ich jedem Fan und jede*r Neueinsteiger*in nur empfehlen, sich die Serie anzusehen und sich eine eigene Meinung zu bilden – schlecht ist sie auf jeden Fall nicht. Es gibt Szenen, die mich wirklich bewegt und gefesselt haben, wie zum Beispiel die Beerdigung von Lu Ten, dem Sohn von Onkel Iroh. Die Musik, die schauspielerische Darbietung, die visuelle Beherrschung und vieles mehr machen diese Serie zu einer würdigen Realverfilmung mit einigen fragwürdigen Änderungen, wie eben der gestrichene Humor von Sokka. Insgesamt bekommt die Serie von mir eine 8,5/10.
Quelle: Netflix
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